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Die Leichensynode von 897

Folgender Beitrag (den ich aufgrund spontan entfachten Interesses dem zweiten Beitrag zur Minoischen Kultur vorgezogen habe) beschäftigt sich mit einem sehr unrühmlichen Aspekten des erstarkendem Papsttums am Übergang vom Früh- zum Hochmittelalter. Der Leichensynode von 897. Dabei handelt es sich um einen Schauprozess, der gegen die Leiche eines ehemaligen Papstes geführt wurde und zu einer Verurteilung führte.

Vorgeschichte

Durch den Niedergang des Karolingerreichs ab der 2. Hälfte des 9. Jahrhunderts verloren die fränkischen Herrscher immer mehr an Macht im italienischen Reichsteil, was das Aufstreben italienischer Adelsfamilien begünstigte. Als Kaiser Karl III. (der Dicke) 887 durch den Reichstag abgesetzt wurde, konkurrierten nun dessen Neffe Arnulf von Kärnten, Markgraf Berengar I. von Friaul und Herzog Wido II. von Spoleto um die Vormacht in Italien. Zwei Jahre darauf, im Jahr 889, besiegte Wido II. den zuvor gekrönten Berengar I. und ließ sich von Papst Stephan V. zum König, 891 sogar zum Kaiser krönen. Stephan V. tat dies (den Quellen nach) nur widerwillig, hatte aber aufgrund des Einflusses des Hauses Spoleto in und um Rom keine andere Wahl.

Papst Formosus & Stephan

Nach dem Tod von Stephans V. folgte der spätere “Protagonist” der Leichensynode auf den Stuhl Petri. Papst Formosus. Eigentlich hätte dieser nach dem damals geltenden Translationsverbot nicht zum Papst gewählt werden dürfen, da dieses Amt ja auch das Amt des Bischofs von Rom beinhaltete, und Formosus bereits Bischof in Portus (heutiger Flughafen Roms) war. Nach damaliger Auffassung war man nämlich als Bischof mit seinem Bistum “verheiratet”, war also zeitlebens daran gebunden. Doch zu dieser Zeit lockerte sich dieses Verbot bereits auf, und so wurde Formosus im Jahr 891 schließlich zum Papst gewählt. Er behielt die politische Linie seines Vorgängers bei und wiederholte die Krönung Widos II. 892.

Allerdings konspirierte er im Hintergrund mit Arnulf von Kärnten, dem bereits zuvor erwähnten Neffen Karls III.. Arnulf folgte dem Hilfegesuch des Papstes und zog im Jahr 894 nach Italien, wo er Wido II. in einer Schlacht besiegen konnte. Im Jahr 896 krönte Papst Formus Arnulf zum Kaiser, was das Adelsgeschlecht der Spoletos noch weiter gegen ihn aufbrachte. Nach dem Tod Formosus´(nur 6 Wochen nach der Krönung Arnulfs) folgte Papst Stephan VI. auf den Papststuhl. Dieser unterstützte zunächst ebenfalls Arnulf, doch nachdem Widos II. Sohn seine Macht in Rom gefestigt hatte, wechselte Stephan VI. auf die Seite der Spoletos.

 

Das Verfahren

Über die Beweggründe für eine Anklage des verstorbenen Papst Formosus gibt es keine eindeutigen Belege. Ein wichtige Rolle dürfte dabei aber das zuvor erwähnte Translationsverbot spielen, denn zum einen lieferte dieses Verbot einen Anklagepunkt gegen Formosus, zum anderen erhoffte sich Stephan VI. durch eine Verurteilung Formosus` selbst dieser entziehen zu können. Denn Stephan VI. war zuvor auch Bischof eines Bistums, welches er von Papst Formosus erhalten hatte. Hebt man nun durch eine Verurteilung alle von Formosus getätigten Ernennungen auf, so wäre Stephan VI. über den Vorwurf der Missachtung des Translationsverbots erhaben.

Gemälde von Jean-Paul Lorens aus dem Jahr 1870

Anklage & Urteil

Der Verstoß gegen das Translationsverbot war schließlich auch der Hauptanklagepunkt in diesem Schauprozess. Des Weiteren wurde Formosus auch wegen Eidbruch angeklagt. Dazu wurde der Leichnam des 9 Monate zuvor verstorbenen Papstes exhumiert, in päpstliche Gewänder gekleidet und auf den Papststuhl “gesetzt”. Während des dreitägigen Prozesses, welcher vor hohen Kirchenvertretern stattfand, bestritt ein Diakon die “Verteidigung” von Formosus. Letztendlich wurde der Papst (oder besser gesagt: dessen Leiche) schuldig gesprochen.

In diesem Urteil erklärte Stephan VI. alle von Formosus durchgeführten Amtshandlungen und Weihen für ungültig. Die Leiche von Formosus wurde entkleidet und wegen dem von ihm begangenen Eidbruch wurden ihm die Schwurfinger abgehackt. Außerdem wurde er über die Kirchenschwelle geschleift und enthauptet. Nachdem dieser zunächst auf dem Fremdenfriedhof Roms verscharrt wurde, grub man ihn kurze Zeit später erneut aus und warf seine Leiche in den Tiber.

Religiöse Bedeutung

Diese Akte der Gewalt hatten in der damaligen Vorstellung eine große Bedeutung: Nach dem System der Spiegelstrafe musste dem Verurteilten das zugefügt werden, was er verbrochen hatte. So stand das Abhacken der Schwurfinger für die getätigten ungültigen Weihen, sowie für den Eidbruch. Die Enthauptung stellte Formosus` vormalige Stellung als Oberhaupt der Kirche dar, als solches er Verbrechen begangen hatte. Durch das Schleifen der Leiche über die Kirchenschwelle, sowie das Verscharren im Fremdenfriedhof beraubten ihm seiner irdischen Heimat. Kurz gesagt: Papst Stephan VI. tat alles, um die Leiche und das Andenken an Papst Formosus zu schänden und seiner Seele zu schaden.

Nachgeschichte

Dieses grausige Verfahren gegen einen verstorbenen Papst hatte bereits kurze Zeit darauf ein Nachspiel für Stephan VI. Im August des selben Jahres (897) wurde er vom Volk Roms gestürzt, eingekerkert und dort erwürgt. Der Nachfolger Stephans ließ die aus dem Tiber gezogene Leiche von Formosus im Dezember 897 erneut ehrenvoll bestatten. Außerdem erklärte er alle Beschlüsse der Leichensynode für ungültig. Einen umfassenden Rehabilitationsversuch unternahmen im Jahr 898 Papst Johannes IX. und Kaiser Lambert auf der Synode von Ravenna. Sie erklärten das Urteil der Leichensynode erneut für ungültig und bestätigten die Gültigkeit der Amtshandlungen von Papst Formosus.

In den Folgejahren kam es immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen den Anhängern Formosus` und Stephans. Im Jahr 904, als ein Anhänger Stephans den Stuhl Petri bestieg, wurden die Anhänger Formosus` grausam verfolgt. Die inzwischen ehrenvoll bestattete Leiche wurde ein drittes Mal exhumiert. Der Rest seiner Schwurhand wurde abgehackt und die Leiche erneut in den Tiber geworfen. Angeblich verfing sich der Leichnam in einem Fischernetz und wurde später noch einmal ehrenvoll im Petersdom begraben. Doch ist dies nicht eindeutig geklärt, muss man doch den bereits sehr stark fortgeschrittenen Verwesungszustand der Leiche, sowie die Strapazen derer sie unterzogen wurde, berücksichtigen.

Abschließende Gedanken

Rom und das Papsttum kamen in den Folgejahren nicht zur Ruhe. Vor allem im 10. Jahrhundert starb kaum ein Papst eines natürlichen Todes, es herrschten Intrigen und Morde in der ganzen Stadt. Die heutige Bezeichnung für dieses Jahrhundert in Rom lautet Pornokratie, denn die Päpste waren Spielbälle ihrer oft sehr mächtigen Mätressen und der verfeindeten Adelsfamilien. Insgesamt lässt sich also bestätigen, dass diese Zeit keine sehr rühmliche in der Kirchengeschichte ist, gerade weil sie aus heutiger Sicht unvorstellbar grausam und skrupellos war.

⇒ Passende Literatur zu diesem Thema: Kriminalgeschichte des Christentums: Das 9. und 10. Jahrhundert*


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